Der Elch im Wohnzimmer

Stell dir vor: Bei euch steht ein riesiger ausgewachsener Elch im Wohnzimmer. Stell dir vor: In deiner Familie gilt das geheime Abkommen, dass niemand jemals darüber sprechen darf - und alle halten sich daran. Die Familie tut so, als wäre alles in bester Ordnung.

Kannst du dir vorstellen, wie sich die Kinder in der Familie nach einer Woche fühlen? Nach zwei oder drei Wochen? Wahrscheinlich würden sie ihre Eltern am liebsten anschreien: „Schafft endlich den verdammten Elch raus!" Aber es gilt die geheime Regel: kein Wort über den Elch!

In Familien, in denen Vater oder Mutter alkoholkrank, tablettenabhängig oder drogensüchtig sind, ist es genau so: Alle sehen und fühlen, dass da ein Riesenproblem im Raum steht, aber keiner spricht darüber. Und weil keiner darüber spricht, tut auch niemand etwas dagegen. Wer dann traurig ist, Angst hat oder Schmerzen, darf es nicht zeigen.

Wenn jemand alkoholabhängig ist, heißt das nicht, dass er ein schlechter Mensch oder willensschwach wäre. Dieser Mensch hat eine Krankheit, er kann nicht mit dem Trinken aufhören. Er tut Dinge, die er nie tun würde, wenn er nicht alkoholkrank wäre: Er beschimpft im Rausch die Menschen, die er am meisten liebt: seine Kinder. Die Kinder glauben häufig, dass sie an der Sucht ihrer Eltern schuld sind. Das ist natürlich völliger Quatsch. Kinder sind nicht schuld an der Sucht ihrer Eltern und auch nicht die Ursache. 

Um sich vor der Gefahr einer eigenen Sucht zu schützen, ist es wichtig, die Elchregel wieder zu verlernen. Das geht am besten, wenn die Kinder und Jugendlichen Menschen suchen, mit denen sie über alles reden können, z. B. die Oma, Verwandte, Lehrerinnen, Sporttrainer oder Jugendgruppenleiter. An vielen Orten gibt es auch spezielle Gruppen für Jugendliche mit Suchtproblemen im Elternhaus - garantiert elchfreie Zonen. Wo solche Gruppen zu finden sind, erfährst du hier bei NACOA und hier bei KidKit

Textauszug aus „Der Elch im Wohnzimmer" von Henning Mielke (2009) 
 

Umgekipptes Glas
Umgekipptes Glas